Sinn für Zwischentöne – Neues von Joachim Senger in der Galerie Rampoldt

Der Tagesspiegel / Feuilleton, 22. September 1984
Heinz Ohff

Joachim Senger, Berliner des Jahrgangs 1929, ist nach langer Weltwanderung in seine Heimatstadt –fürs erste wenigstens – zurückgekehrt. In seiner Zugvogelexistenz glich er immer ein wenig Heinz Trökes, und auch sein Werk scheint eher ihm verwandt als seinen Lehrern Hans Orlowski und – durch ein französisches Staatsstipendium – Fernand Leger. Etwas Surrealistisches hat immer bei ihm herumgespukt. Jetzt arbeitet er sogar, teilweise, wie es die Ursurrealisten verlangten, nämlich automatistisch, aus der Hand und dem Unterbewußten heraus, ohne einen Umweg über Hirn und Vorplanung.

In der Galerie Rampoldt, die dem aus Spanien, Mexiko, Norwegen, Vence, Oestrich-Winkel im Rheingau (und wo immer Senger sich aufgehalten mag) Heimgekehrten die erste Ausstellung bereitet, sieht man noch Arbeiten aus den späten siebziger Jahren, Landschaften oder, wie Ulrich Schmidt es in einem Kasseler Katalog von 1983 ausgedrückt hat, "Landschaftserfahrungen". Die Temperabilder sehen aus wie Flüge über fremde Planeten oder Zusammenraffungen einer Unzahl von Landschaften in Form einer umfassenden Vogelperspektive.

Daraus sind Anfang der achtziger Jahre Kürzel geworden, die Senger nahezu kalligraphisch niederschreibt, wobei manches an japanische Schriftzeichen oder altägyptische Hieroglyphen erinnert. Es handelt sich jedoch um sehr freie Zeichen, um eine eigene Formsprache, die wiederum mitunter an Penck erinnern würde, wären nicht die prächtigen, so überaus farbsensiblen Hintergründe. Eine neuerliche Vorliebe für die Farbe Weiß läßt manches geradezu abstrakt erscheinen im Sinne von Emil Schuhmacher oder Fritz Winter – man merkt, daß Senger einer anderen Generation angehört als jene jungen Maler, die jüngst das figürliche Tafelbild wieder entdeckt haben. Er hat noch peinture (und ab und zu ist es geradezu eine Erlösung, gepflegte, gekonnte Malerei im alten Sinne zu sehen). Vor allem hat er viel Sinn für jene Grauzwischentöne, die ein Weiß erst lebendig machen – und ab und zu ein bißchen sanftes Rosa. Da ist jedes Detail auf dem Bild, so intuitiv es hingesetzt scheint, malerisch verarbeitet.

Was sie allemal haben ist Farbatmosphäre – ein allzu selten gewordenes Element in unserer Kunstlandschaft.