Jochen Senger – Homo Ludens

Villa Oppenheim, Berlin, 1. Dezember 2003
Dr. Ursula Prinz

Wenn der Besucher die Villa Oppenheim betritt und sich in der Ausstellung von Jochen Senger umsieht, mag er sich sogleich in ein südländisches Ambiente versetzt fühlen. Die Leichtigkeit und Luftigkeit der Arbeiten, die auf bunte Farbigkeit verzichten und und in Weiß, Schwarz, Blau und Erdtönen gehalten sind, scheinen so gar nicht in die hierzulande gewohnte Landschaft zu passen. Dabei ist Jochen Senger ein Ur-Berliner, nicht nur hier geboren, sondern auch zur Hochschule für bildende Künste gegangen, seit fünfzig Jahren Mitglied des BBK und mit einer Unterbrechung in den siebziger Jahren, die er im Rheingau ansässig war, eigentlich auch immer in Berlin zugegen gewesen, allerdings mit Unterbrechungen durch Auslandsaufenthalte, die ihn nachhaltig geprägt haben. Das Mittelmeerische, Südfrankreich und Spanien, aber auch Mexiko haben Spuren hinterlassen, die bis heute in den Arbeiten sichtbar sind. Der Kontakt nach Spanien ist vielleicht der nachhaltigste geworden. Nicht umsonst erscheint das Bild mit dem Titel „España“ auf der Einladung. Der Kontrast von Licht und Schatten, Hell und Dunkel lässt an spanische Dörfer im hellen Sonnenlicht denken, die Erdfarben und einfachen Zeichen, wie das Kreuz zum Beispiel, erinnern gelegentlich an Bilder van Tapies oder eben auch an die gebrannte Erde, die weite Teile der Landschaft auf der spanischen Halbinsel bestimmt.

Nicht immer sahen die Bilder von Jochen Senger so aus, hatten aber auch in den sechziger und siebziger Jahren schon mit der Erde, Erdfarben und kargen landschaftlichen Elementen zu tun. Allerdings waren sie äußerst sorgfältig und minutiös durchgezeichnet, zu Strukturen verdichtet, die das einfache Sujet zu Kostbarkeiten der Zeichenkunst stilisierten. Nahsichten auf Bodenformationen und Gestein zum Beispiel bilden einen guten Teil seines Schaffens. Diese sehr stimmungsvollen und intensiven Werke sind nicht nur ein Abbild der Natur, sondern können auch als ein Psychogramm des Künstlers selber gelesen werden. Die auf diese Phase folgende extreme Reduktion in Form und Farbe entwickelte sich in den achtziger und verstärkt in den neunziger Jahren. Einfache schwarze, zumeist organisch geschwungene Linien stehen wie eine Zeichnung auf gestisch, aber monochrom gemaltem Untergrund oder eben ganz auf Weiß. Dazu kamen die Collage, Packpapier, Schrift, Zahlen und figürliche Anspielungen. Auch dreidimensionale Objekte, die gleichermaßen als Architekturmodelle oder Plastiken funktionieren können, gehören ins neue Repertoire. Manches wirkt wie ein Piktogramm, wie ein Bilderrätsel oder auch eine Gebrauchsanweisung, die allerdings zu keinem wirklichen Ziel führt, es sei denn zu dem der umherschweifenden Fantasie. Immer wieder mag man Landschaften erkennen, in einer Aberwitzigen Perspektive, beziehungsweise in gar keiner oder in mehreren auf einmal, Draufsicht, Ansicht, Grundrisse und immer wieder Schwebendes. Es gibt ganz viel Luft in diesen Bildern. Darin tummeln sich Flugzeuge, Vögel, Architekturen. Zu den bevorzugten Motiven gehören die Tore, die mit ihren Durchlässen der Offenheit und Transparenz der Bildkomposition entgegenkommen. Der Blick wird fast immer nach oben geleitet. Eine wie auch immer empfundene Räumlichkeit stellt sich erst in der Vorstellungskraft des Betrachters her, da die Bilder selber sich ganz in der Fläche ausbreiten.

Es ist der besondere Reiz dieser Arbeiten, dass sie nicht vollendet, sondern nur angedeutet erscheinen und gerade dadurch Geist und Gefühl anregen. Alle Farben, Klänge und sogar Düfte sind in diesen Werken anwesend, man muss sie nur entdecken. Nicht immer ist es nur das Leichte, das man dabei erfährt. Licht und Schatten gehören zum Bild, wie zur Natur und zum Leben. Leichtes und Schweres halten das Leben wie die Kunst in Spannung und Aktion. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich nicht nur die Kunst von Jochen Senger, sondern auch sein ureigenes, sehr sinnenfrohes Temperament – zwischen Heiterkeit und Melancholie. Ein weiteres ganz wesentliches Merkmal von Sengers Kunst ist das Spielerische. Mit letztlich nur wenigen Grundformen führt er ein variantenreiches Schauspiel auf, das vor unseren Augen zu tanzen scheint. Tanz und Spiel verbindet man ja üblicherweise eher mit der Welt des Theaters. In diesen Bildern wird ein komprimiertes Welttheater aufgeführt, dessen Figuren manchmal zerrissen scheinen und immer wieder auch zusammengefügt werden. Wie ein Trickster, der mythologische Kobold, der sich in seine Bestandteile auflösen kann und dessen Teilstücke, bzw. Glieder, allerhand Unheil anrichten können, um dann wieder zu einer einzelnen Figur zusammenzuschmelzen, finden sich die zerstreuten Teilstücke im Bild auch immer wieder zu einem Ganzen zusammen. „Ort finden“ heißt eine der Papierarbeiten und es wirkt wieder wie eine Anweisung, ein Rätsel, dem auch keine Lösung zuteil wird. Nur ein paar Spuren führen in die Irre oder auch jeden zu sich selbst. Denn, jeder muss schließlich seinen Ort selber finden. Die Bilder weisen nicht den Weg; aber sie verheißen einen Weg oder sind am Ende gar selbst der Weg. Vom Spielerischen zum Grüblerischen ist der Schritt gar nicht so groß. Beide Komponenten tauchen in den Bildern von Jochen Senger geradezu direkt nebeneinander immer wieder auf.

Homo ludens und homo faber, der Spielerische und der Handwerker, sind in Sengers künstlerischer Persönlichkeit miteinander vereint. Das Bilder machen ist sein Leben. Ohne zu malen kann man sich diesen munteren jung Gebliebenen gar nicht vorstellen. Das sich selber Vermarkten hat ihn nie gekümmert. Dazu war er viel zu sehr mit dem Malen beschäftigt. Ausstellungen gab es in jüngster Zeit in Spanien und in Potsdam zum Beispiel. Umso schöner ist es, dass nun endlich auch in Berlin diese Ausstellung zustande kam. In der intimen Atmosphäre der Villa Oppenheim finden diese Werke einen adäquaten Raum, in dem wir alle an der ebenso heiteren wie nachdenklichen Welt dieses Künstlers teilhaben können.