Ausstellungskatalog

Neue Galerie - Staatliche und städtische Kunstsammlungen Kassel, 1982/83
Prof. Dr. Werner Haftmann

Joachim Sengers Phantasie war von allem Anfang an befaßt mit Vorstellungen landschaftlicher Natur. Sie bezogen sich nicht auf Naturansichten, wie man sie sieht und abmalt. Sie richteten sich auf die Bilder, die im schauenden Erlebnis einer Landschaft aus der antwortenden Vorstellungskraft von Innen ins Augen stiegen: bildhafte Antworten, dichterische Gleichnisse zur bildenden Natur, Jenseitslandschaften, Weltinnenbilder. Aus den vielfältigen Angeboten der Natur suchte er sich stets einen eigenen Gleichnisraum zu entwerfen, in dem seine erfindende Phantasie sich frei ergehen konnte und der dennoch einem Bestimmten Erlebnis an der Natur nicht widersprach.

Die Weise seiner Beobachtung zielte nie auf dingliche Beschreibung. Sie suchte die "poetische Atmosphäre" einer bestimmten Natur zu durchschauen und begriff darunter auch – und besonders – deren Spiegelung in der antwortenden Psyche. War diese Grundstimmung einmal gesehen und in ihren bildnerischen Möglichkeiten erkannt, wandte er sich vom Naturbild ab und einzig dem Erscheinungsbild seiner Malfläche zu. Auf ihm bildete sich durch die Schichtung der Raumpläne, die Fußpunkte der sich bildenden Formen, die Farbstimmung ein selbständiger, nur der Fläche zugehöriger imaginärer Raum, der als bildnerische Entsprechung zum Erlebnisraum gelten konnte und der aus sich eine gleichermaßen imaginäre Vegetation entließ. Nichts Sichtbares war zu reproduzieren, sondern eine dichterische Antwort war sichtbar zu machen als bildnerische Erscheinung. Der Vordergrund der sichtbaren Natur wandelte sich zum Erlebnishintergrund. Aus ihm trat die bildnerische Metapher hervor. (...)