Ausstellungskatalog

Galerie van der Koelen, Mainz, 1985
Werner Langer

Stets ist Jochen Senger ein Landschafter besonderer Art gewesen. Nie hat er sich in landläufiger Weise mit Wäldern und Seen, Flüssen und Feldern beschäftigt. Früh wurde seine Vorstellungen von mittelmeerischer Kunst und Kultur, von spanischer und französischer Landschaft geformt, und ihre lichten Ebenen und dunkle Schluchten malte er sich zuerst bizarr in Gedanken, danach heiter und grotesk auf der Leinwand aus.

Noch bei Hans Orlowski, an der alten Berliner Hochschule für bildende Künste, ausgebildet, hatte er ein Stipendium nach Paris erhalten, bald aber fuhr er mit Heinrich Richter, seinem Studienfreund, ans Mittelmeer, nach Spanien weiter. Nahezu ein Jahrzehnt lebte er in Altea, zudem reiste er mehrmals nach Mexiko, doch auch norwegische Gebirge und Fjorde prägten seine Naturansichten. In der Schweiz und vor allem in Berlin gab er seinen Reiseeindrücken und malerischen Erfahrungen dann bildhaften Ausdruck.

Dem französischen Künstler Tanguy nahestehende Arbeiten kamen dabei zustande, jedoch mit ersonnenen archäologischen Funden, die Senger in surrealen Wüsteneien vorführte, machte er sich selbständig und künstlerisch unabhängig. Hauptsächliche zeichnerisch ging er auf hellgrauen Blättern ausgedachten, fabelhaften Dingen nach – knapp umrissene Lagepläne und skizziert aufgenommene Ortsangaben fingierter Ausgrabungen entstanden. Auch "Landschaftszeichen" und übereinander gereihte "Zeichengruppen" traten zutage; ausdauernd "Auf der Suche", wie der Titel eines Stückes lautet, stieß Senger sogar auf merkwürdige "Schriftlandschaften".

Verstärkt richtete sich nun sein Augenmerk auf chiffrenhafte Hinweise, verschlüsselte und sibyllinisch wirkende Zeichenberichte. Jüngere lineare Darstellungen besitzen skripturale Züge, geben sich als gekritzelte protokollarische Notizen. Auf helle, flockige Untergründe setzte es fremdartige, an ostasiatische Kalligraphien erinnernde Pinselstriche. Von breit angelegter Sicht auf erfundene Grabungsstätten lenkte er die Aufmerksamkeit auf mysteriöse Mitteilungen und seltsame handschriftliche Fährten.

Der Maler überließ hier dem rhythmischen, gleichsam automatistischen Zeichner das Feld. Nachdem er die verschollene Plätze erdachte und erfand, kümmerte er sich um ihre fiktiven geschriebenen Hinterlassenschaften. Und karger, spärlicher, sonderbarer wurden entdeckte Zeichen, die vereinzelt und für sich an versteckter Bedeutung gewinnen. Auf neuen Werken hat sich der surreale Entdecker hauptsächlich auf Schriftspurensuche begeben.