Bilder

Ausstellungskatalog, Galerie van der Koelen, Mainz, 1985
Dr. Ursula Prinz

Wie Botschaften aus einer versunkenen Welt, wie Zeichen aus vergangenen Zeiten, so leuchten – gleichsam durch Nebelschwaden und Wolkenbänke hindurch – die Chiffren von Jochen Senger. Aus dem Dunkel heraus schweben sie uns entgegen, in das Lichte hinein scheinen sie zu entschwinden – oder ist es umgekehrt? Manchmal verdichten sie sich zu Inseln in dem unendlichen Meer, manchmal zerflattern sie zu Punkten und Linien. Oftmals chaotisch, aber auch zu fast strenger Reihung gestaffelt, sind ihre Formationen; abstrakt – ja, aber doch immer wieder mit Anklängen an bekannte Formvorstellungen. Die Skala reicht vom Skripturalen bis zum Anthropomorphen. Besonders in den jüngsten großen Bildern begegnen immer wieder architektonische Zeichen und Symbole.
Die Farben entstammen nicht unserer gewohnten Umgebung. Auch sie lassen eher an Archäologie denken. Erde zwischen Licht und Dunkel – auf diesem Terrain bewegt sich die künstlerische Gestaltung von Jochen Senger.

Sucht man nach Verwandtem, so wird man ins Mediterrane verwiesen. Tapies etwa wäre ein vergleichbarer Geist; aber auch – vielleicht wichtiger noch – die Natur, und zwar in ihrer elementaren Gestalt, wie sie in spanischen Berggegenden anzutreffen ist; doch auch nicht nur sie allein, sondern, in ihr enthalten, die Spuren, die der Mensch hinterlassen hat, die Formen, die er ihr auferlegt oder hinzugefügt hat. Und dies alles nun durch ein künstlerisches Temperament, durch eine menschliche Psyche hindurchgesehen und aufgezeichnet wie ein Stenogramm, allerdings kein sachliches Stenogramm, sondern ein poetisches, wenn es so etwas gibt, als solches erscheinen mir diese Arbeiten.

Sollte man ein Psychogramm Jochen Sengers nach seinen Bildern anfertigen müssen, man käme der Wahrheit wohl ziemlich nahe. Auch hier fände sich wieder ein breites Spektrum zwischen Düsterkeit und Helle, bis hin zu olympischer Heiterkeit und blitzender Ironie oder vielmehr Schalkhaftigkeit. Die Klarheit südlicher Atmosphäre liegt Senger mehr als die metaphysische Undurchdringlichkeit nördlicher Metaphorik, obgleich er auch an ihr Anteil hat.

Die Arbeiten von Jochen Senger sind zunächst einmal Bilder, oft sogar mit einem gemalten Rahmen versehen. Es ist ihnen etwas Spielerisches eigen. Wie zufällig erscheint Manches und ist vielleicht auch so entstanden, um dann aber dennoch in eine sehr bestimmte Komposition eingebunden zu werden. Zeitweilig ist ein dualistisch polares Prinzip zu erkennen: oben – unten, hell – dunkel, schwer –leicht. Die Pole Hell – Dunkel sind ja in Sengers gesamtem Werk von großer Bedeutung.
Stilistisch bewegt sich Senger zwischen den eher zum Graphischen tendierenden Arbeiten, mit – gelegentlich ganz realen – Schriftzeichen, die sich deutlich vor einem Hintergrund abheben und malerischen Bildern, auf denen sich die Farbschichten miteinander verzahnen und verweben, so daß eine Bewegung zwischen Vorwärts und Rückwärts entsteht, die keine klaren Ebenen mehr erkennen läßt. Diese Bilder sind allerdings in der Minderzahl.

Eine bis zum Plakativen getriebene Deutlichkeit ist für viele der neueren Bilder charakteristisch. Reduktion von Farbe und Form, aufbauend auf der früheren auslotenden Vielgestalt, führt zu klassischen Aussagen, die nun auch im Format insgesamt größer werden. Es scheint, als ob Senger eine Summe aus dem Vorangegangenen zieht. Er setzt Zeichen, aber nicht Zeichen als Kürzel oder Bezeichnung für irgendeinen Gegenstand, sondern Zeichen für Bilder und die Zeichen sind das Bild. Es geht hier auch um die Autonomie der Kunst und um das Bild, das seine Eigenständigkeit beansprucht. Es geht um Bilder.