Spuren von Landschaften – Chiffren
Ausstellungskatalog, Galerie van der Koelen, Mainz, 1985
Dorothea van der Koelen
Wenn ich versuche die Bilder von Jochen Senger zu beschreiben, so komme ich nicht umhin, das Thema zu nennen, welches Auslöser schöpferischen Erfindens ist: die Landschaft, und mit ihr die Elemente der Natur. Doch die Landschaft wird hier nicht als real faßbares optisches Phänomen begriffen, sondern zum Spiegel der eigenen, künstlerischen Existenz.
Bei dieser Bemerkung wird deutlich, daß es Jochen Senger nicht um topographische Belege gehen kann, und so bleiben in der Darstellung – meist Bilder, in jüngster Zeit oft größeren Formates, und Zeichnungen, auch (aber seltener) Collagen, also alles auf die Fläche bezogene Arbeiten – nur noch Spuren, in welchen sich vordergründig Deutbares zu magischen Chiffren abstrahiert. Diese Zeichen sind Assoziationen des Künstlers auf landschaftliche Erlebnisse und werden nicht einer bestehenden Signologie entnommen, sondern frei erfunden, d.h. geprägt bei der Suche nach einer kürzelhaften Entsprechung im Ausdruck für momentane Empfindungen und Einwirkungen auf die Seele.
Aus dem Gesamtbild des landschaftlich Gegebenen werden Einzelelemente entnommen, Akzente werden zu Ausschnitten, nennen Aspekte, die Jochen Senger selbst ‚wesen‘-tlich betreffen. In der fragmentarischen Auswahl werden bereits Hinweise gegeben, die zum Teil deutlicher und entschieden formulieren, häufig jedoch auch hinter diffusen Schleiern nur vorsichtig erahnbar bleiben. Einen informellen Struktureindruck vermitteln Arbeiten, die vor allem Ende der 70er Jahre entstehen und meist sehr dunkel, beinahe düster ausfallen.
Nach dieser Phase der Auflösung – die in ihrer Intensität soweit gehen kann, daß selbst die chiffrehaften Kürzel nicht mehr als Einzelformen wahrnehmbar sind, und in der Erinnerung der Eindruck einer beinahe monochromen Fläche bleibt – wird seit Anfang der 80er Jahre, vor allem in den Arbeiten zwischen 1983 und 1985, ein Bedürfnis nach Strenge spürbar, welches in deutlich kontrastierenden Schwarzakzenten zum Ausdruck kommt, dann, seit 1985, konstruktive Formenelemente einbezieht und damit Architekturfragmente assoziierbar macht. Gebildet werden diese Konstruktionen aus, zum Teil geometrisch geformten, zunächst mit einem dicken schwarzen Pinselstrich umrahmten Weisfeldern, die dann bald vollkommen in Schwarz fallen und wie eingefügte Collage-Elemente erscheinen. Sie geben den Bildern Haltepunkte, und man kann nun wieder von Kompositionen sprechen, deren Bildgründe den Eindruck von Ruhe vermitteln.
Das Geflecht von kürzelhaften Zeichen und Chiffren hat sich zu einer Darstellung mit merklich weniger Elementen entwirrt, welche die Assoziationen des Künstlers deutlicher benennt; im Extremfall werden sie verbal bezeichnet (als Wolke, Wind, Regen, etc.), in jüngster Zeit aber, hinter einem lasierenden Schleier wieder versteckt, entfallen diese Hinweisangaben. Dennoch bestimmen Naturelemente das Bildgeschehen, welches sich heute zunehmend an Architektonischem orientiert; den "Einstieg" dazu bilden die bereits seit 1980 entstehenden Tor-Thematiken, die sich folgerichtig weiterentwickeln, als Eingang zum Haus auch zu diesem selbst hinführen.
Die Arbeit an derartigen Themenkomplexen wird zyklisch betrieben, d.h. über mehrere Jahre in zahlreichen Variationen auf Leinwand und Papier ausgelebt. Dabei steht in der Regel eine bestimmte Farbe (meist auf der Basis von braun) im Vordergrund, die nur noch in Helligkeit oder Intensität variiert und mit schwarz und weiß, evtl. grau, kontrastiert wird.
Im Gegensatz zu den eher informellen Arbeiten aus den späten 70er Jahren, bei welchen, weil alle Zeichen ausgelöscht sind und einzig als Vision eine imaginäre Strukturfläche bleibt, die Malerei zum Selbstzweck mutieren kann, werden bei den jüngsten Arbeiten einzelne Formen auf der Bildebene elementar bestimmbar, inhaltlich faßbar, und in der Rückbezüglichkeit von Formalem auf Deutbares markieren architektonische Härten, wie auch farbige Kontrast, Kontrapunkte.
Der Berliner Jochen Senger ist nach Berlin zurückgekehrt, aber ein wenig Platz ist in seinem Herzen noch immer für den Rheingau, der für fünf Jahre seine Wahl-Heimat war.