Ausstellungskatalog
Galerie Epikur, Wuppertal, 1995
Dr. Renate Franke
Der künstlerische Weg Jochen Sengers läuft stetig und kontinuierlich – man könnte fast sagen in klassischer Weise – auf die immer höhere Konzentration seiner Aussage zu.
Bilder dieser Welt – Landschaft und Lebensraum – sind sein Thema nicht als Abbild, sondern in freier Interpretation. Für Senger stand von Anfang an fest, daß er sich auf die autonome Kunst – mit allen Freiheiten und Risiken – einlassen wollte.
Jochen Senger hat schon früh zu typischem und charaktervollem Stil gefunden, der zuerst von zielgerichtetem Ausdruckswillen, erst dann von der Lust am artistischen Spiel bestimmt ist. Senger entwickelte eine skriptural-poetische Handschrift, die variationsfähig und anschmiegsam ein schier unendliches Feld von Aussagemöglichkeiten eröffnet, ohne je zur Manier zu werden. Senger gelingt die Umsetzung von Welterfahrung in sublime und geheimnisvolle Zeichen, mit denn er in strenger Arbeitsdisziplin unterschiedlichste Bildvorstellungen verwirklicht.
Sengers Künstlerlaufbahn begann in der Heimatstadt Berlin, wo – an der Hochschule für bildende Künste – Hans Orlowski sein Lehrer war, ein Meister, der das Fundament für eine knappe, expressive Formensprache legte. Auf künstlerischen Lehr- und Wanderjahren zog es Senger meistens in südliche Gefilde. Zunächst nach Frankreich, wo die "Ecole de Paris" – Staatsstipendium bei Fernand Leger – besonders einflußreich wurde. Dann ging er nach Spanien, wo ein langer Arbeitsaufenthalt den Künstler entscheidend prägte. Aus karger, archaischer Landschaft bezog er die wichtigsten künstlerischen Lehren, hier studierte der die Wirkungsweise der stimmunghaltigen Strukturen und der spannungsgeladenen Kontraste. Er suchte den geheimnisvollen Effekten von Licht und Schatten, von Unruhe und Harmonie auf die Spur zu kommen. Auch Sengers Farbgebung – die mit den Jahren immer zurückhaltender wurde –ist von diesen Impressionen geprägt.
Bemerkenswert ist die Entdeckerfreude, mit der Jochen Senger sich ohne Rücksicht auf eben Erreichtes in immer wieder neue Kunst-Abenteuer stürzt. Ungewohnte und unerprobte Materialien und Methoden können ihn dabei nicht schrecken –er sieht sie lieber als Herausforderung und als Chance, alltäglichem und sonst geringgeschätztem Werkstoff Reize und Geheimnis zu entreißen. Wer weiß, wie sehr Senger von Höhlenmalereien in Altamira fasziniert ist, wird gut verstehen, daß es ihn lockte, Wirkungen dieser Art an modernen Materialien zu erproben – seine bemalten Ytong-Wände zeigen, daß ihm die Umsetzung gelang.
Zu schnellem und bequemen Konsum sind seine Werke allerdings nicht bestimmt: der Betrachter muß von den Sehgewohnheiten in alten, eingefahrenen Gleisen Abschied nehmen – mit dem Wiedererkennen von Vorgewußtem wird er hier nicht bedient. Sengers Bilder und Bildwerke sind Erfindungen im wahren, ursprünglichen Sinn: konkret gewordene Imagination.